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Montag, 24. Dezember 2007

OOP 2008: Innovation braucht Einfühlungsvermögen und Sensibilität

Mich hat der "philosophische" Beitrag von Michael Stal im OOP-Blog gefreut. Das ist die Art Nachdenken, die mir gefällt: raus aus den technologischen Niederungen, Abstand vom Hype nehmen und einmal über Grundsätzliches nachdenken. Wie ist das also mit der Innovation in der Softwarebranche? Zugegeben, eine sehr allgemeine Frage, aber in jedem Fall bedenkenswert.

Michael konstatiert: "Es bedarf des Wettbewerbs der Ideen (Evolutionen) um Anreize für Innovation zu schaffen [...]". Ist das aber wirklich so? Braucht Innovation einen Wettbewerb? Nein, das halte ich für zwar verständliches, aber überkommenes Denken nach kapitalistischer/westlicher Väter Sitte. Dass Wettbewerb die stärkste Fortschrittskraft ist, ist längst schon als Illusion entlarvt. Kooperation statt Wettbewerb heißt die Zauberformel.

Woher kommen dann aber Innovationen, wenn sie nicht durch Wettbewerb "angestachelt werden"? Zunächst scheint es nützlich, zur Beantwortung dieser Frage zu überlegen, was Innovation eigentlich ist. Und da sage ich mal, Innovation steht dem Informationsbegriff nach Gregory Bateson insofern nahe, als dass sie einfach ein Unterschied ist, der einen Unterschied macht:

  1. Unterschied: Innovation weicht vom Existierenden ab.
  2. Unterschied: Diese Abweichung führt dazu, dass wir zunächst einmal ganz allgemein anders arbeiten als bisher. Im Speziellen nehmen wir diese Andersartigkeit jedoch positiv wahr.

Mit dieser Definition von Innovation kann die Frage nach ihren Quellen nun differenzierter gestellt werden:

  1. Was sind Bedingungen, die zur Produktion einer Abweichung vom Existierenden führen?
  2. Welche Abweichungen nehmen wir als positiv wahr?

Zu Frage 1: Schierer Wettbewerb kann natürlich der Antrieb sein, Unterschiede der ersten Art zu produzieren. In Wirklichkeit geht es dem Produzenten dabei jedoch nicht um diesen Unterschied in der Sache, sondern um einen Unterschied zum Wettbewerb bzw. seiner bisherigen wirtschaftlichen Position. Die Innovation ist dann nur Mittel zum Zweck. Das halte ich für die schlechteste aller Motivationen für Innovationen.

Viel wirksamer scheint mir hingegen die Motivation aus Leiden heraus. Wer am Existierenden leidet, sucht nach Wegen, dieses Leiden zu beenden. Oder volkstümlicher: Not macht erfinderisch. Allererster Innovationsmotor ist für mich daher Sensibilität! Sensibilität für die eigenen Leiden und Sensibilität für die Leiden anderer, d.h. der heutigen oder potenziellen Kundschaft.

Ob auch noch andere am Markt sensibel sind, ist dabei unerheblich. Ich würde sogar sagen, dass ein "Wettbewerb der Sensiblen" zunächst hinderlich für Innovation ist, da er die ursprüngliche Leidenssensibilität ankränkelt. Statt alle Kräfte auf Heilung des Leidens auszurichten, also einen in der Sache positiven Unterschied zu produzieren, motiviert Wettbewerb, Kräfte in einen Unterschied zu den Wettbewerbern zu investieren. Das schwächt die Innovation.

Zu merken ist diese "unechte" Motivation bei allen etablierten Produkten von Microsoft Office bis SAP. Wenn ihre neuen Versionen mit Veränderungen zur bisherigen oder Konkurrenzprodukten aufwarten, dann sind diese Veränderungen vor allem durch den wirtschaftlichen Zwang, d.h. den Wettbewerb motiviert. Das ist Innovation um der Innovation willen, weil sich sonst die Software nicht mehr im Rahmen des vorherrschenden Geschäftsmodells verkaufen lässt. Nüchtern betrachtet würde das Urteil wohl lauten: Viele etablierte Produkte sind am Ende. Sie sind für 80-90% der Kundschaft gut genug und müssen nicht weiterentwickelt werden. Echte Innovationen sind nicht mehr in ihnen oder mit ihnen möglich.

Zu Frage 2: Welche Unterschiede werden als positiv empfunden? Hier ist Einfühlungsvermögen gefragt und Domänenkenntnis. Wer Unterschiede der ersten Art produzieren will, die Unterschiede der zweiten Art machen, muss nicht nur sensibel sein, sondern sich in die Position seiner Kunden versetzen können. Was sind deren Wünsche, Sorgen, Nöte, Ziele? Beispiel: Möchte die Kundschaft einen schnelleren Rechner, weil die Datenbankzugriffe immer so langsam sind? Oder möchte die Kundschaft eine schnellere Datenbank? Oder möchte die Kundschaft einen leichter zu bedienenden Datenbank-API, der vor imperformanter Verwendung schützt? Oder möchte die Kundschaft überhaupt eine ganz andere Programmierplattform mit Persistenz, die noch umfassender vor imperformanter Fehlbenutzung schützt? Oder wäre die beste Lösung, auf Persistenz ganz zu verzichten und stattdessen alle Daten in-memory zu verarbeiten?

Wer nicht versteht, wo der Schuh wirklich drückt, der erzeugt womöglich Unterschiede an falscher Stelle. Der betreibt Symptomkur, statt zu heilen. Das bringt dann zwar auch eine gewisse Linderung, aber nicht wirklich dauerhafte Abhilfe.

Innovationen können aus meiner Sicht also nur da entstehen, wo Einfühlungsvermögen und Sensibilität zusammenkommen. Einfühlungsvermögen öffnet, Sensibilität registriert. Wettbewerb ist beidem jedoch abträglich, denn Wettbewerb hat mit Adrenalin zu tun. Und Adrenalin führt zu Regression, zu Tunnelblick. Wer unter Adrenalin steht, der ist aus evolutionsgeschichtlich guten Gründen gefühlstaub.

Soviel zu Michael Stals (Syn)These, dass Innovation Wettbewerb brauche. Ich verstehe, was er damit meint. Und im gegebenen Wirtschaftssystem bzw. bei den aktuellen Geschäftsmodellen für Software ist Wettbewerb auch unumgänglich. Auch im Sinne einer freundschaftlichen Herausforderung ist darüber hinaus nichts gegen ihn zu sagen. Dass Wettbewerb jedoch essenziell, geradezu der Katalysator für größte Innovationen sein soll... das kann ich nicht glauben. Da scheinen mir Einfühlungsvermögen und Sensibilität als Fundament viel wichtiger. Ihnen muss sich dann allerdings auch noch Mut zugesellen. Sonst bleiben Innovationen in der Schublade.

Mut zum Riskio, Mut zur Lücke, zum Fehler, Mut zum Nonkonformismus, Mut zum Imperfekten, zum Vorläufigen... Vielleicht ist der Mut sogar noch wichtiger. Ja, sogar ganz gewiss. Erst kommt der Mut, dann die Zuversicht, dann Einfühlungsvermögen und Sensibilität. Schließlich Beredtheit, also Wille und Fähigkeit, die Frohbotschaft der Innovation zu verkünden. Von der Sachkompetenz und fachlichen Qualifikation ganz zu schweigen. Den Wettbewerb hingegen, den braucht die Innovation nicht so recht.

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